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PlattenGruppe Köpenick wird 30 Jahre alt

Als erstes Obdachlosenprojekt in Ost-Berlin erregte die Gruppe bundesweite Aufmerksamkeit. Bis heute setzt sie sich für Wohnungslose ein.

Sozialarbeiter Jürgen Putze-Denz mit Ordner voller Presseberichte

Ein Ordner voller Erinnerungen: Jürgen Putze-Denz ist seit Gründung der PlattenGruppe im November 1990 als Sozialarbeiter dabei. Foto: Diakoniewerk Simeon

Altes, instand gesetztes Gebäude einem Hinterhof

Einbringen nach seinen Möglichkeiten: Die denkmalgeschützte Remise im Hof der Wendenschloßstraße 135 wurde von den Bewohnenden der PlattenGruppe instand gesetzt. Foto: Diakoniewerk Simeon/Birte Zellentin

Ein Nacht im November 1990: Männer führen Journalisten zu einem leerstehenden Haus in Köpenick, in dem sie seit einigen Wochen schlafen. Es sind Obdachlose, die sich in einer Wärmestube in Charlottenburg kennengelernt haben. Sie wollen weg von der Straße und eine dauerhafte Bleibe.

„Wir wollen damit einerseits auf den Missstand der vielen leerstehenden Wohnungen aufmerksam machen, anderseits auf die vielen Obdachlosen, die nicht einmal ein Bett in der Pension oder im Wohnheim haben“, erklärte die Gruppe in einem offenen Brief. Die Türen des Hauses standen offen, heißt es darin, und weiter: „Bitte haben sie Verständnis für unsere Not und unser Verhalten. Unterstützen Sie uns solidarisch. Wir wollen eine gute Nachbarschaft mit Ihnen.“

Rund 30 von ihnen schließen sich in einer „Selbsthilfeinitiative“ zusammen – die PlattenGruppe ist geboren.

Erstes Obdachlosenprojekt in Ost-Berlin

Mehr als ein Jahr und zwei Standortwechsel später zieht die Gruppe an ihren bis heute gebliebenen Standort: die Wendenschloßstraße 135. Als erstes Obdachlosenprojekt in Ost-Berlin erregte die PlattenGruppe bundesweite Aufmerksamkeit. Sozialarbeiter Jürgen Putze-Denz, von Anfang an dabei, erinnert sich:

„So etwas hatte es noch nie gegeben. Obdachlose galten als unsichtbare Einzelgänger. Nun schließen die sich friedlich zusammen, um eigenständig Wohnungen instand zu setzen – und laden auch noch die Presse dazu ein. Von uns Betreuenden wollten sie lediglich Unterstützung im Umgang mit den Behörden, alles andere wollten sie selbst machen. Oft erzählten sie uns, welche Reporter abends oder am Wochenende da gewesen sind – von der Frankfurter Rundschau bis zu den Tagesthemen, sogar mal ein japanisches Rundfunkteam. Manche Berichte haben wir nicht gut gefunden, aber das gehörte eben dazu.“

Von der Straße zur Selbsthilfe

Bis Mitte der 90er Jahre verwaltet sich die PlattenGruppe selbst. Sie organisiert Podiumsdiskussionen, Gespräche mit politischen Vertreter*innen, leitet Hausversammlungen und vergibt Aufgaben nach den Fähigkeiten der Einzelnen. „Das war gelebte Solidarität“, so Putze-Denz.

Der Ansatz der Selbsthilfe bleibt. Bis heute starteten fast 700 Menschen mit einem eigenen Zimmer in der PlattenGruppe in einen neuen Lebensabschnitt, wie der Sozialarbeiter beschreibt: 
„Ab dem Zeitpunkt fällt enorm viel Druck ab. Wenn du auf der Straße gelebt hast, mit nur deinen Kleidern am Leib, holst du zuerst das Schlafdefizit nach. Danach leben wir die Kunst der kleinen Schritte, unterstützen allmählich bei der Suche nach Wohnraum, nach Arbeit oder Ausbildung, bei Behördengängen und allen anderen Problemen, damit die Leute – langfristig gesehen – alleine klar kommen und nicht wieder auf die Straße müssen.“

Viele, die die Gruppe verlassen, nutzten das Angebot, hin und wieder vorbeizukommen, sagt Putze-Denz: „Für die ist PlattenGruppe Familie.“

Über das Projekt

Die PlattenGruppe entstand im November 1990 aus einer Gruppe Wohnungsloser, die sich in einer Tagesstätte in Charlottenburg kennenlernten. Mit Unterstützung vom Senat, dem Bezirk Treptow-Köpenick und dem Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg als damaligem Träger, wurde aus dem Selbsthilfeprojekt ein betreutes Gruppenwohnen mit offenem Arbeitsprojekt, das im ganzen Bezirk Umzüge, Transporte und Malerarbeiten realisierte.

Nach zwei Standortwechseln befindet sich das Projekt seit 1992 in der Wendenschloßstraße 135. Das dortige über hundert Jahre alte Wohnhaus wurde 1997 als Solidarprojekt gemeinsam von Bewohnenden, Fachfirmen und Wohnungsgesellschaft instand gesetzt. Das Prinzip der Partizipation fand als Modellprojekt große Anerkennung in der sozialen Arbeit.

Seit 2011 ist die PlattenGruppe eine Einrichtung der Wohnungslosenhilfe im Diakoniewerk Simeon. 24 Menschen finden in Form von betreutem Gruppenwohnen sozialpädagogische Beratung und Unterstützung vor Ort. Rund 70 Prozent der dort auf Zeit lebenden Menschen vermittelt das soziale Projekt aktuell in eigenen Wohnraum.

Weitere Informationen auf der Website der PlattenGruppe: https://www.diakoniewerk-simeon.de/wohnungslosenhilfe-schuldnerberatung/betreutes-gruppenwohnen/